Yoga im Spiegel, 1974: Karen Zebroffs Yoga für Yeden
Yoga im Spiegel Teil 2
Die 1970er: Kareen Zebroffs »Yoga für Jeden«
Seit elf Monaten streckt und krümmt sich Kareen Zebroff, 33, für die Korpulenten und Bewegungsfaulen in der Bundesrepublik. In der ZDF-»Sportinformation«, freitags zwischen 16.30 und 17.00 Uhr, lockt die Blondine mit dem Esther-Williams-Körper, sauber und sexfrei wie Doris Day, die Zuschauer für fünf Minuten vom Sessel auf den Boden: »Yoga für Yeden«, ein Kompositum für äußerliche Schönheit und organische Gesundheit. Und schon seit Januar ist auch die Buchfassung des Zebroff-Trainings auf den Bestseller-Listen. Deutsche Gesamtauflage: bisher 100 000 Exemplare.
(Aus dem Spiegel-Artikel vom 2.9.1974 mit dem Titel "Zucker gegeben")
Das vom Spiegel erwähnte Yogabuch der Deutschkanadierin Kareen Zebroff, das 1971 in Kanada unter dem Titel »The ABC of Yoga« erschien, erschien 1973 auf Deutsch mit dem Titel »Yoga für Jeden« und war tatsächlich das erste Yogabuch, das mir mit 16 in die Hände fiel – im Bücherschrank meiner Großtante.
Kareen Zebroff (*1941) ungefähr so alt wie meine Verwandte, würde letztere noch leben. Zebroff kommt aus Windsbach bei Ansbach in Mittelfranken, lebte in den 1970ern als Hausfrau mit drei Kindern in Vancouver und hatte stets ein gewinnendes Lächeln auf dem Gesicht. Und sie transformierte Anfang der 1970er Jahre die öffentliche Wahrnehmung von Yoga in Deutschland und brachte auch meine Großtante, Hebamme als Beruf, zum Yoga machen auf den Teppich. Der begehrte Sendeplatz, den sie auf ZDF bekommt, ihre erfolgreichen Buchveröffentlichungen und ihr gelungener Kniff, wie der Spiegel schreibt, »den traditionellen Yoga auf ein Trimm-dich-Programm« zu reduzieren und »ihn wie ein Rezeptbuch praktikabel« zu machen, nahmen bedeutenden Einfluss darauf, was Yoga in Deutschland werden sollte und was Yoga heute ist.
Denn sogar noch Anfang der 2000er brachte ihr Buch mich zum Yoga, verstanden als eine sanfte, entspannende und dehnende körperliche Betätigung, die ich daraufhin in einem von der Krankenkasse bezuschussten Kurs voller Frauen mittleren Alters weiterverfolgen sollte. Laut Klappentext ihres Buches hatte Kareen Zebroff »Yoga von philosophischem und mystischem Ballast befreit und sich dem Hatha-Yoga verschrieben, der sich mit dem Funktionieren von Organen und Muskeln befasst«, und ein solches gesundheitlich orientiertes Hathayoga brachte auch mich zu Beginn des 21. Jhs., 19-jährig, dann regelmäßig auf die Matte. Erst im Laufe der Jahre, im Zuge meiner ersten Yogaausbildung 2006/2007 erfuhr ich von einer sogenannten ›spirituellen‹ Dimension dieser āsana-Praxis, die ich da ausführte. Dass Yoga »philosophischen Ballast« habe, so etwas würde heutzutage wohl kaum jemand mehr sagen - ist doch Yogaphilosophie zu einem enorm wichtigen Teil heutigen Yogas geworden. Doch konnte sich dies wohl erst entwickeln, nachdem deutlich Abstand von früheren Zugängen zu religiösen Aspekten des indischen Yogas gewonnen worden war.
Und damit zurück in die 1970er: An Zebroffs Medienwirksamkeit lässt sich ablesen, dass sich Yoga von einer einst exotischen, fremdartig-extremen Tätigkeit, wie noch im Spiegel in den späten 1940er Jahren dargestellt, zu einem Volkssport gemausert hat. Ermöglicht wurde dies unter anderem durch Zebroffs besagte Demystifizierungen und ihren Fokus auf Bewegung und Atmung. Laut der Spiegelausgabe vom 27.01.1975 praktizieren nach (allerdings nicht weiter belegten) Expertenschätzungen ca. 100 000 von 61,99 Mio. Westdeutschen Yoga, also 0,161 % der Bevölkerung. Die deutsche Gesamtauflage von Zebroffs Buch von ebenfalls 100 000 Exemplaren bereits im Jahr 1974 deutet allerdings eine weitaus größere Dunkelziffer von Yogaübenden an.1
Durch Zebroffs Erfolg schafft es das Thema Yoga nach einigen Jahrzehnten auch wieder in den »Spiegel«, denn in den 1950er und 1960er Jahren wird es meiner Recherche nach nur zweimal am Rande und in Zusammenhang mit Indien erwähnt. Dabei entwickelt sich Yoga als Körpertechnik schon ab den 1950ern vor allem für ein weibliches Publikum in Deutschland weiter, es werden zahlreiche Lehrbücher veröffentlicht. Unter anderem von bekannten indischen Akteuren wie Swami Sivananda, allerdings auch zunehmend von AmerikanerInnen und EuropäerInnen wie Harvey Day, Charles Waldemar, Indra Devi (Eugenie Peterson), Phytian Okeanide, Constant Kerneiz, der schon in den 1930er Jahren Yogabücher veröffentlichte uvm. 1966 erscheint dann B.K.S. Iyengars einflussreiches Buch Light on Yoga, das noch heute enorme Popularität genießt. Zebroff ist Teil jener deutschen Yogaübenden, die ohne direkten Lehrer, nur über ihre Buchlektüre in Yoga eingeführt wurden, wie der kurze Spiegel-Artikel von 1974 erwähnt. In den 1970er Jahren gab es in Deutschland noch keine echte Ausbildungsstruktur für den Beruf Yogalehrer*in, vieles lief autodidaktisch ab. Die Professionalisierung von Yoga in Deutschland setzte erst in den frühen 1980er Jahren ein.2
Zebroff trägt entscheidend zur öffentlichen Wahrnehmung von Yoga bei, doch funktioniert das vor allem deswegen, da sie es, wie bereits viele vor ihr, weiter an den Westen und seine Bedürfnisse anpasst. Tatsächlich ist der Titel, der verspricht, das Yoga für jeden sei, nicht ganz zutreffend: Wie auch heutzutage sind es vornehmlich Frauen, an die sich Zebroffs Programm richtet. Waren damals noch 80% aller Yogaübenden in Deutschland weiblich (Fuchs 1990: 201), sind es heute satte 90%. Kareens Programm war letztlich von einer Frau für Frauen gemacht. Sie bedient außerdem wichtige Themen, die schon seit Jahrzehnten dazu dienen, Yoga von Sport, Turnen oder Gymnastik zu unterscheiden:
Yoga ist für Zebroff eine sanfte, langsame Tätigkeit, die stets achtsam und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und unbedingt unter Vermeidung von Schmerzen ausgeführt werden solle. Sie schreibt beispielsweise: »Ruhen Sie sich zwischen den Übungen aus. Die Schönheit von Yoga liegt in seiner Sanftheit. Müdigkeit oder Muskelkater sind überflüssig.« (1971: 20) Yogaübungen dienen laut Zebroff nicht der Kraftentwicklung (also der Anspannung von Muskeln) sondern dem Strecken derselben (also dem Dehnen). Dies entstammt jedoch keineswegs dem indischen Haṭhayoga – wer zum Beispiel einmal Jois' Ashtanga Yoga geübt hat, weiß, dass man mit dieser Yogaform an Muskelkater kaum vorbeikommt!
Zebroff integriert, ohne sie als solche zu markieren, Aufwärmübungen und Gymnastikübungen wie die Katzenstreckung, die Arm-Hebung ("festigt wabbelige Unterarme" schreibt sie 1971 (S. 24)) und Rock 'n Roll
Vll. auf Sacharow verweisen und darauf, dass diese Mischung schon immer Gang und Gäbe war in der Yogageschichte in D
Das sanfte Hineinspüren in den Körper, das Anpassen der Übungen an die eigenen Bedingungen, der Fokus auf Entspannung - alles immer noch und wieder sehr relevant in heutigem westlichen Yoga
1974 wird auch das Sivananda Zentrum gegründet, ganz zentral in München-Schwabing, und eine ganz andere, von indischen Gurus und ihren AnhängerInnen gelehrte Form von Yoga verankert sich im deutschen Kultur.
FUSSNOTEN
1 Heutzutage sind es laut der vom Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland e.V. in Auftrag gegebenen Studie Yoga in Zahlen von 2018 4 Mio. Praktizierende, also ca. 5 % aller Deutschen.
2 Vgl. Fuchs 1990, S. 121. Der Forscher Christian Fuchs nennt die Periode, in die Zebroffs Arbeit fällt, die »Phase der Organisation«, die er auf den Zeitraum 1967-1979 ansetzt. In diesem Jahrzehnt werden zwei große Yoga-Verbände gegründet, weswegen die Zeit bis 1979 für Fuchs »unter dem Zeichen einer bundesweiten Mobilisierung und Organisation der hiesigen Yoga-Szene« steht (1990: 114). 1967 wird der »Berufsverband Deutscher Yogalehrer e.V.« gegründet und 1970 die »Deutsche Yoga-Gesellschaft«.